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Die Weichtiere des Jahres seit 2003

Am 21.September 2002 wurde in Erding bei München das Kuratorium "Weichtier des Jahres" gegründet. Durch Pressearbeit, Internetpräsenz und einem DIN A 4 Faltblatt soll jedes Jahr ein Weichtier des Jahres vorgestellt werden.
Der Titel wird von einem Kuratorium vergeben, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Öffentlichkeit über ausgewählte Arten zu informieren und auf diesem Wege molluskenkundliche Themen und Naturschutzprobleme bekannt zu machen. Das "Weichtier des Jahres" soll dazu einladen, auch die anderen Weichtiere in unserer Umgebung wahrzunehmen und sich ihrer vielfältigen und oft unverzichtbaren Funktionen in unserer Umwelt bewusst zu werden.

Weichtiere (Mollusca)

Nach den Gliederfüßern (Arthropoda, also Krebse, Spinnen, Insekten und andere) sind die Weichtiere (Mollusca) der zweitgrößte Tierstamm. Sie werden in acht Klassen eingeteilt, von denen die Schnecken (Gastropoda), die Muscheln (Bivalvia) und die Kopffüßer (Cephalopoda, z.B.Tintenfische) die bekanntesten sind. Weichtiere leben im Meer, im Süßwasser und auf dem Land. Während das Süßwasser sowohl von Schnecken als auch von Muscheln bewohnt wird, haben nur die Schnecken die Entwicklung zum Landleben geschafft. Die meisten Schnecken schützen ihren skelettlosen Weichkörper mit einem fest mit dem Tier verwachsenen Gehäuse (dem "Schneckenhaus"). Die Nacktschnecken haben ihr Gehäuse in der Entwicklungsgeschichte zurückgebildet.

Die bei uns vorkommenden Muschel- und Schneckenarten sind überwiegend hochspezialisierte Tiere, die die verschiedensten ökologischen Ansprüche haben. Viele Arten sind stark gefährdet, weil entweder ihre Lebensräume (z.B. Trockenrasen, Sümpfe) von Menschen zerstört oder deren Qualität stark verschlechtert wird (z.B. Überdüngung, Schadstoffeintrag, Eingriffe in den Wasserhaushalt).

Die meisten Weichtiere benötigen ganz spezielle Eigenschaften ihrer Biotope und sind nicht sehr mobil. Sie können also negativen Veränderungen ihre Lebensraumes kaum ausweichen, entsprechend sind viele Weichtierarten gefährdet, manche sterben aus. Dieser Verlust von Biodiversität hat, wie jede Änderung im System der Natur, auch einen Einfluss auf alle anderen Teile der lebenden Umwelt: auf Pflanzen, Tiere und Menschen.

Wenn auch nur eine Art ausstirbt, auch die kleinste, ist dies ein großer Verlust für unseren Planeten und eine Niederlage der Menschheit. (Neckermann)


Jahr Deutscher Name wissenschaftlicher Name
2003 Bauchige Windelschnecke Vertigo moulinsiana
2004 Gemeine Kahnschnecke Theodoxus fluviatilis
2005 Tigerschnegel Limax maximus
2006 Gemeine Flussmuschel Unio crassus
2007 Maskenschnecke Isognomostoma isognomostomos
2008 Das Mäuseöhrchen Myosotella myosotis
2009 Husmanns Brunnenschencke Bythiospeum husmanni
2010 Gemeine Schließmundschnecke Alinda biplicata
2011 Die Zierliche Tellerschnecke Anisus vorticulus
2012 Die Schlanke Bernsteinschnecke Oxyloma elegans
2013 Die Europäische Auster Ostrea edulis
2014 Die Knoblauch-Glanzschnecke Oxychilus alliarius
2015 Die Mantelschnecke Myxas glutinosa
2016 Die Große Erbsenmuschel Pisidium amnicum
2017 Die Schöne Landdeckelschnecke Pomatias elegans
2018 Die Neptunschnecke Neptunea antiqua
2019 Die Heideschnecke Helicella itala
2020 Die Gefleckte Schüsselschnecke Discus rotundatus
2021 Der Gewöhnliche Tintenfisch Sepia officinalis
2022 Die Bayerische Zwergdeckelschnecke Sadleriana bavarica


Das Kuratorium "Weichtier des Jahres" hat für 2022 die Bayerische Zwergdeckelschnecke ausgewählt.


Die Bayerische Zwergdeckelschnecke (Sadleriana bavarica) wurde als Weichtier des Jahres 2022 ausgewählt, weil sie bisher nur an einer einzigen Stelle gefunden wurde. Sie ist ein Beispiel für hochgefährdete Süßwasserschnecken und wurde erst 1989 für die Wissenschaft als neue Art beschrieben.

Die Bayerische Zwergdeckelschnecke ist eine kleine Schnecke mit rundlich-eiförmigem Gehäuse. Die 3 1/2 bis 4 Umgänge sind durch eine recht tiefe Naht voneinander abgesetzt, das Gewinde ist erhoben, das Gehäuse ist jedoch kürzer und etwas zugespitzter als das der früher in die gleiche Gattung geordneten Bythinella pannonica aus Ungarn und der Slowakei oder der sehr nahe verwandten Sadleriana fluminensis aus Norditalien und Slowenien. Der letzte Umgang nimmt mindestens 4/5 der Gehäusehöhe ein und ist oft etwas kugelig gebläht. Das braune, recht festschalige Gehäuse wird drei bis vier Millimeter hoch und drei bis dreieinhalb Millimeter breit. Die Mündung ist eiförmig. Der Nabel (die schmale Öffnung im unteren Teil des Gehäuses neben der Mündung) ist offen. Wenn sich das Tier ins Gehäuse zurückzieht, kann es die Mündung hinter sich zum Schutz gegen Feinde und gegen Trockenheit verschließen. Dies geschieht mit einem Gehäusedeckel (Operculum), der oben auf dem Hinterende des Kriechfußes angewachsen ist. Dieser Deckel ist rotbraun.


Die sehr seltene Bayerische Zwergdeckelschnecke ist das Weichtier des Jahres 2022 (Bild: © Bastian Brenzinger) Am lebenden Tier wirkt das Gehäuse oft sehr dunkel, meist ist es von mikroskopische kleinen Grünalgen bewachsen.
Die Bayerische Zwergdeckelschnecke ist das Weichtier des Jahres 2022 Aufnahme: © Bastian Brenzinger


Der Tierkörper von Sadleriana bavarica ist schwarz, nur die Sohle des Kriechfußes und die Basis der Fühler sind etwas heller. Die Fühler selbst sind 0,6 Millimeter lang und können nicht eingezogen werden. Wie bei allen Wasserdeckelschnecken befinden sich die Augen an der Außenseite der Fühlerbasis. Die ausstreckbare Schnauze ist lang und beweglich. Der vordere Teil des Fußes ist keilförmig zu einem sogenannten Propodium verbreitert, in dem sich eine große Drüse befindet. Fußdrüsen dienen bei den Schnecken meist zur Bildung des Schleims.

Auf dem Nacken des Tieres deckt ein Hautlappen (Mantel) die zum Kopf hin offene taschenartige Mantelhöhle (Atemhöhle) ab, die etwa bis zur Hälfte des letzten Umganges nach innen reicht. In ihr befindet sich eine einseitig mit Lamellen versehene Kieme, die Anzahl der Kiemenlamellen ist variabel. In der Mantelhöhle liegt auch ein leistenförmiges Sinnesorgan (das Osphradium), das der Wahrnehmung chemischer Sinnesreize dient. Außerdem münden die Exkretionskanäle für die Ausscheidungen von Darm und Niere in die Mantelhöhle. Die Abfälle werden mit dem verbrauchten Atemwasser nach außen gespült. Nahrung wird mit der etwa einen Millimeter langen Raspelzunge (Radula) von der Unterlage abgekratzt und zerkleinert.

Bayerische Zwergdeckelschnecken sind getrenntgeschlechtig, also anders bei fast allen Landschnecken in unseren Gärten gibt es bei den meisten kiemenatmenden Wasserschnecken Männchen und Weibchen. Die Keimdrüsen befinden sich im oberen Teil des Gehäueses. Wie viele andere Weichtiere sind verwandte Arten der Zwergdeckelschnecken an ihren Geschlechtsorganen zu unterscheiden. Bei weiblichen Tieren von Sadleriana sind Begattungstasche (Bursa copulatrix) und Spermavorratstasche (Receptaculum seminis) für die Unterscheidung der Arten interessant. Sadleriana bavarica ist durch zwei unterschiedlich lange Spermavorratstaschen gekennzeichnet.

Anatomisch ist über die Gattung Sadleriana recht viel bekannt, auch wenn teilweise etwas widersprüchliche Angaben publiziert wurden. Das Wissen über ihre Biologie (zum Beispiel über den Lebenszyklus mit Fortpflanzung und Entwicklung) scheint sehr lückenhaft und auch die exakten Beziehungen zu ihren Verwandten (vor allem zur schon erwähnten Sadleriana fluminensis) sind noch zu klären.

Bayerische Zwergdeckelschnecken leben in den quellnahen Bereichen eines kleines Bachlaufes in München. Dieser mündet nach wenigen Kilometern in die Isar. Sadleriana bavarica kommt dort zusammen mit nur wenigen anderen Schnecken vor, darunter auch zwei weiteren Arten der kleinen, kiemenatmenden Wasserschnecken: Potamopyrgus antipodarum und Bythinella conica. Bythinella ist beim Zurückweichen der Gletscher der letzten Eiszeit über die Donau und ihre die nördlichen Alpen entwässernden Nebenflüsse eingewandert. Über die Herkunft der Bayerischen Zwergdeckelschnecken in der Nacheiszeit sind bisher nur Mutmaßungen möglich. Die Region um den Fundort wurde in der vorletzten Eiszeit geformt und war in der letzten (Würm-) Eiszeit nicht vergletschert.

Der Lebensraum der Bayerischen Zwergdeckelschnecke ist durch den Quelleinfluss ganzjährig kühl. In den quellnahen Bereichen wächst Wasserhahnenfuß. Die Schnecken sitzen in 1 bis 40 Zentimeter Wassertiefe vorwiegend auf harten Substraten (Steinen oder Holz, manchmal auch Blättern oder organischen Resten). Diese sind mit feinen Rasen von Mikroorganismen (vor allem Algen und Kieselalgen) überzogen, von denen die Tiere fressen.


Als eine Tierart, die bisher nur an einem einzigen Ort nachgewiesen wurde, ist die Bayerische Zwergdeckelschnecke in ihrem Bestand sehr gefährdet. Drei Gehäuseansichten der Bayerischen Zwergdeckelschnecke Sadleriana bavarica (Aufnahme: © Vollrath Wiese)
Aufnahme: © Vollrath Wiese Drei Gehäuseansichten der Bayerischen Zwergdeckelschnecke Sadleriana bavarica


Ihre Einstufung in den Roten Listen ist  "extrem selten" (R) für Arten mit sehr starker geographischer Restriktion. Es bedeutet, dass die Begrenzung auf ein winziges Gebiet ein sehr hohes Aussterberisiko bedingt, auch wenn die Art am Fundort recht zahlreich vorkommt. Die Population in München kann schon durch eine kleine Veränderung (wie zeitweises Austrocknen des Gewässers, z.B. aufgrund der Klimaerwärmung) oder kurzfristige Schadstoffeinleitung komplett ausgelöscht werden. Die Tiere sind an ihren Standort gebunden, sie können nicht ausweichen - es gibt keine geeigneten Standorte in für die Schnecken erreichbarer Nähe, sonst wären sie besiedelt - und sie können nicht von anderswo zurückkehren, weil es eben keine Reservepopulationen gibt.

Es bedarf also in vieler Hinsicht besonderer Aufmerksamkeit, um den Lebensraum dieser Art zu erhalten. Die Bayerische Zwergdeckelschnecke ist für München trotz ihrer geringen Größe wie ein Wappentier, ein Aushängeschild für die Besonderheit der Münchener wie der bayerischen Natur. Im Naturschutz müssen Städte, Länder und Staaten ihre Arteninventare ganz besonders im Hinblick auf die Arten mit kleinem Verbreitungsgebiet beobachten, denn für sie haben sie eine weltweite Verantwortung.

Zur Entdeckungsgeschichte der Bayerischen Zwergdeckelschnecke haben mehrere Wissenschaftler beigetragen. Der bayerische Biologe Manfred Colling fand die Tiere 1985 und berichtete mit Fritz Seidl jun. über dieses einzigartige Vorkommen der Gattung  Sadleriana.


Familie: Gattung: Art: Wissenschaftlicher Name
Wasserdeckelschnecken Zwergdeckelschnecken Bayerische Zwergdeckelschnecke Sadleriana bavarica


Der Münchener Hans Boeters, Spezialist für Wasserdeckelschnecken, erkannte Unterschiede zu den Verwandten und beschrieb 1989 die neue Spezies als Sadleriana bavarica.

Die Familie der Wasserdeckelschnecken (Hydrobiidae) umfasst in Deutschland nur wenige Arten, weltweit werden ihr (unabhängig von teilweise unklaren systematischen Einordnungen dieser sehr kleinen und oft nicht ausreichend erforschten Tiere) mehr als 900 Arten zugerechnet. Dabei ist zu bedenken, dass traditionell nur Gehäuse betrachtet werden. Diese sind in der Familie häufig merkmalsarm und bei verwandten Arten extrem ähnlich. Molekulargenetische Untersuchungen zeigen inzwischen neue Einordnungen und vielfache Differenzierungen.

Die Bayerische Zwergdeckelschnecke aus München wird nicht nur als Beispiel für eine hochgefährdete Art vorgestellt. Sie wurde als 20. Weichtier des Jahres für 2022 auch aus einem weiteren Grund gewählt: Im August 2022 ist München der Ort des World Congress of Malacology, also des Weltkongresses der Weichtierforscher. Viele Hundert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler treffen sich im Abstand von drei Jahren, um eine Woche lang ihre Forschungsergebnisse auszutauschen. Im Jahr 2022 findet der Kongress auf Einladung von Prof. Dr. Gerhard Haszprunar seit mehr als 30 Jahren wieder in Deutschland statt. Auch für diesen Kongress ist die Bayerische Zwergdeckelschnecke ein vier Millimeter kleines, aber ganz besonderes Symbol.


Vielen Dank an Herrn Dr. Vollrath Wiese - Haus der Natur, Cismar - für den überlassenen Pressetext! Vielen Dank auch dafür, dass wir die Aufnahmen, von Herrn Bastian Brenzinger und Herrn Vollrath Wiese veröffentlichen durften.


Wenn Sie mehr über dieses interessante Fachgebiet wissen möchten: www.mollusca.de


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- letzte Aktualisierung: Donnerstag, 22. Dezember 2022 -
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