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Das Moos des Jahres seit 2005
Erstmals hat die Bryologisch-lichenologische
Arbeitsgemeinschaft für Mitteleuropa (BLAM) für 2005 ein Moos des
Jahres gewählt. Die Entscheidung fiel dabei auf das Silber-Birnmoos.
Für die Jahre sind dies:
Jahr |
Reptil - Amphibie |
wissenschaftlicher Name |
2005 |
Das Silber-Birnmoos |
Bryum argenteum |
2006 |
Das Quellmoos |
Fontinalis antipyretica |
2007 |
Das
Polsterkissenmoos |
Grimmia pulvinata |
2008 |
Das Hübsche
Goldhaarmoos |
Orthotrichum pulchellum |
2009 |
Das Graue (Gemeine)
Weißmoos |
Leucobryum glaucum |
2010 |
Das Gemeine
Widertonmoos |
Polytrichum commune |
2011 |
Das Tännchenmoos |
Thuidium abietinum |
2012 |
Das Grüne
Koboldmoos |
Buxbaumia viridis |
2013 |
Das
Brunnenlebermoos |
Marchantia polymorpha |
2014 |
Das
Wimpern-Hedwigsmoos |
Hedwigia ciliata |
2015 |
Das Leuchtmoos |
Schistostega pennata |
2016 |
Das Mittlere
Torfmoos |
Sphagnum magellanicum |
2017 |
Das Weiche
Kamm-Moos |
Ctenidium molluscum |
2018 |
Das Echte Apfelmoos |
Bartramia pomiformis |
2019 |
Das Einseitswendige
Verstecktfruchtmoos |
Cryphaea heteromalla |
2020 |
Das Schöne
Federchenmoos |
Ptilidium Pulcherrimum |
2021 |
Das
Sparrige Kranzmoos |
Rhytidiadelphus
squarrosus |
2022 |
Das Sparrige
Kleingabelzahnmoos |
Diobelonella palustris |
2023 |
Das Geneigte
Spiralzahnmoos |
Tortella inclinata |
2024 |
Das Hängende
Widerhakenmoos |
Antitrichia curtipendula |
Das "Hängende Widerhakenmoos" (Antitrichia
curtipendula)
ist das Moos des Jahres 2024
Die Wahl fiel dieses Jahr auf zwei Arten, die nach massiven
Bestandseinbußen während der Zeiten hoher Belastung der Luft mit
Schadstoffen nun wieder eine, wenn auch unterschiedlich starke,
Zunahme erkennen lassen. Dies ist dem Wunsch geschuldet, mit den Arten
eine positive Botschaft zu übermitteln - leider geht dies auch nicht
ohne Wermutstropfen ab.
Teil 1 unter der Flechte des Jahres!
... In unseren Dauerbeobachtungsprojekten oder bei der Mitwirkung an
den Roten Listen zeigt sich, dass die seit rund 20 Jahren zu
beobachtende Rückkehr zuvor ausgelöschter oder stark gefährdeter Arten
wieder ins Stocken gerät. Dies betrifft auch solche Arten, deren
Reproduktionsfähigkeit außerhalb der Reinluftgebiete eingeschränkt
ist, weil sie dort keine Sporen produzieren oder Arten, die nur an
historisch alten Waldstandorten vorkommen.
Der massive Eintrag
von eutrophierenden Stickstoffverbindungen bewirkt, dass weit
verbreitete, nährstofftolerante Arten die selteneren, an nährstoffarme
Verhältnisse angepassten Arten verdrängen. Das fördert zum Beispiel
Allerweltsmoose wie das Raustielige Kurzbüchenmoos (Brachythecium
rutabulum), oder die Wand-Gelbflechte (Xanthoria parietina) und
verdrängt Nährstoffe meidenden Arten wie den Braunen Moosbart (Bryoria
fuscescens).
Bild: © Wolfgang von Brackel / BLAM
e.V. |
Ein frisches, gut
durchfeuchtetes Polster von Antitrichia curtipendula auf
Kalkfelsen bei Plech / Oberpfalz |
Dürreperioden von mehreren Wochen oder sogar Monaten sorgen auch
unter epiphytischen Moosen und Flechten für Schäden oder zumindest
Konkurrenznachteile bei den feuchtliebenden Arten. Für manche Arten
dürfte der Zug der Rückkehr allerdings für immer abgefahren sein, denn
die für sie geeigneten Lebensbedingungen stellen sich an dem früher
von ihnen besiedelten Standort gar nicht mehr ein. So ist z.B. ein zum
Ende des 19.Jahrhunderts noch enorm flechtenreicher, historisch alter
Waldstandort im nordrhein-westfälischen Münsterland heute im Mittel
fast zwei Grad wärmer als damals. Das entspricht einem
Höhenunterschied von fast 400 Metern! Selbst bei ähnlichen
Niederschlagssummen wäre für trockenheitsempfindliche Arten der Stress
heute höher als damals. Zudem ist dort in den zurückliegenden
Jahrzehnten der Grundwasserspiegel gesunken und es ist ungewiss, ob
bzw. wann er wieder steigt. Durch den Klimawandel sind gerade die
ozeanischen Arten erneut von einer Bedrohung betroffen, die wohl jede
Hoffnung zunichtemacht, dass etwa die Lungenflechte (Lobaria
pulmonaria) wieder in ihr angestammtes Areal in Mitteleuropa außerhalb
der Gebirge zurückkehrt.
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Das Hängende Widerhakenmoos
bildet bis zu etliche
Quadratzentimeter große, grüne bis dunkelgrüne, lockere Decken
oder Hängerasen. |
Die Pflanzen von
Antitrichia
curtipendula im Detail. Am Peilstein / Oberpfalz |
Bild: © Wolfgang von Brackel / BLAM e.V. |
Das Hängende Widerhakenmoos bildet grüne Polster auf Blockschutt
oder auf der Rinde von Laubbäumen. Durch den Standort, die kräftigen
Polster, die rot durchscheinenden Stängel, vor allem aber durch die an
der Blattspitze rechtwinklig abstehenden Zähne ist die Art gut
kenntlich.
Aussehen
Die Art bildet bis zu etliche
Quadratzentimeter große, grüne bis dunkelgrüne, lockere Decken oder
Hängerasen. Die aus den fadenförmigen Primärstämmchen entspringenden
niederliegenden bis hängenden, bis zu 20 Zentimeter langen
Sekundärsprosse sind unregelmäßig und entfernt fiedrig beastet. Die
2,5 - 3 Millimeter langen Blätter liegen dem rotbraunen Stängel an
oder stehen leicht ab, besonders an den Sproßspitzen sind sie oft
leicht einseitswendig. Sie sind am Rand schmal umgebogen, besitzen
einen herzförmigen Grund und eine lang ausgezogene scharfe Spitze. Der
Rand ist vor allem gegen die Spitze scharf rechtwinklig abstehend bis
zurückgebogen gezähnt (gute Lupe). Die einfache, kräftige Rippe
erreicht etwa drei Viertel der Blattlänge, an der Blattbasis finden
sich meist einige kurze Nebenrippen. Die Blattzellen sind verlängert
rhombisch bis linealisch, in den undeutlich abgesetzten Blattflügeln
kurz rechteckig bis quadratisch, am Blattgrund rötlich verfärbt. Die
selten zu beobachtenden ellipsoiden Kapseln stehen auf einem bis zu 12
Millimeter langen glatten Kapselstiel (Seta).
Verwechslungen
sind möglich mit anderen lockerrasigen Großmoosen, etwa mit dem Großen
Hainmoos (Hylocomium brevirostre), Schönschnabelmoosen (Eurhynchium
spp.) oder Kranzmoosen (Rhytidiadelphus spp.). Die Kombination
der Merkmale roter Stängel, lang ausgezogene Blattspitze, einfache
kräftige Blattrippe und rechtwinklig bis zurückgebogene Zähne am
Blattrand ist jedoch eindeutig. Die sehr ähnliche Antitrichia
californica hat in Europa eine mediterrane Verbreitung und kommt in
Mitteleuropa (noch?) nicht vor. Zu den Unterschieden siehe etwa
Hugonnot (2008).
Bildtafel Antitrichia curtipendula (Frahm, J.-P.Stapper,
NJ., Franzen-Reuter, I., 2007) |
Epiphytische Moose als Umweltgütezeiger. Ein illustrierter
Bestimmungsschlüssel. - Kommission Reinhaltung der Luft im VDI
und DIN - Schriftenreihe Band 40. Düsseldorf, 152 S., davon 80
ganzseitige Farbtafeln. |
Ökologie
Antitrichia curtipendula tritt sowohl an der
Rinde von Bäumen (epiphytisch) als auch auf Gestein (epipetrisch) auf.
Die epiphytischen Vorkommen finden sich an Bäumen mit basenreicher
Borke, so an Ahornen oder Eschen, sowohl am Stamm wie auch an größeren
Ästen. Epipetrisch wächst sie auf Gesteinblöcken, gerne in Blockhalden
(Gneis, Kalk, seltener Sandstein, Granit). Gemeinsam ist den mäßig
trockenen, basenreichen Standorten die geringe bis mäßige Beschattung
und die luftfeuchte Lage in Gebieten mit höheren Niederschlägen. Sie
ist die namensgebende Art der Gesellschaft des Antitrichietum
curtipendulae im Verband Antitrichion curtipendulae
(Rinden-Moosgesellschaften in geschlossenen Waldbeständen, vorwiegend
montan-subalpin.
Die Art ist sehr empfindlich gegenüber
Luftschadstoffen (Sauer & Philippi 2000).
Verbreitung und
Gefährdung
Antitrichia curtipendula im weiteren Sinne ist
disjunkt (elementfremd, durchschnittsfremd) in Nordamerika, Europa,
den Kanarischen Inseln, Ostafrika und Taiwan verbreitet. (Hedenäs
2008). Im engeren Sinne fallen die Bestände an der nordamerikanischen
Westküste heraus, die zur nahe verwandten Art A. gigantea zählen,
während die Bestände an der nordamerikanischen Westküste zu A.
curtipendula gehören.
Epiphytisches Vorkommen an
Antitrichia curtipendula in der Wutachschlucht / Schwarzwald. |
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Aufnahme: © aus Lüth 2019, Mosses of
Europe |
Antitrichia curtipendula tritt als Vorkommen (epiphytisch)
an der Rinde von Bäumen auf |
In Europa besitzt die Art eine leicht atlantische Verbreitung
mit einzelnen Vor- (oder Rest-) Posten im kontinentalen Bereich. Die
Vorkommen häufen sich im westlichen Teil (Island, Britische Inseln,
westliches Skandinavien, Spanien, Portugal, Frankreich) und klingen
nach Osten aus. Interessanterweise kommt die Art nach einer
Verbreitungslücke in Osteuropa wieder an der regenreichen Ostküste des
Schwarzen Meeres vor und fehlt dann abgesehen von Taiwan in ganz
Asien. In Mitteleuropa kommt sie von der Ebene bis ins hohe Gebirge
vor. Eine Verbreitungskarte für Deutschland findet sich bei Meinunger
& Schröder (2007), in der sich die enge Bindung der aktuellen Funde an
die Gebirge zeigt.
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Habitat von
Antitrichia curtipendula in einer
Blockschutthalde im Wald am Peilstein / Oberpfalz. |
Epipetrisch wächst die Art auf
Gesteinsblöcken gerne in Blockhalden |
Bild: © Wolfgang von Brackel / BLAM e.V. |
Ein Vergleich mit den Karten jährlicher Niederschläge zeigt, dass
sie weltweit eine starke Präferenz für Gebiete mit über 1000
Millimeter Jahresniederschlag zeigt. Sie kommt jedoch auch in
niederschlagsärmeren Gebieten vor (vor allem in Südschweden).
Möglicherweise weicht sie hier in regional- oder lokalklimatisch
feuchtere Lagen aus.
Wegen ihrer hohen Empfindlichkeit
gegenüber Luftschadstoffen ist die Art bereits Ende des vorletzten
Jahrhunderts, dann aber vor allem in der zweiten Hälfte des letzten
Jahrhunderts stark zurückgegangen und hat sich in die Gebirgslagen
zurückgezogen (u.a. Frahm 1998). Außerhalb der Gebirge sind die
epiphytischen Vorkommen nehazu völlig verschwunden, überdauern konnte
die Art hier nur noch vereinzelt an Felsblöcken. Wegen des anderen
Abflussverhaltens des Regens und der abpuffernden Wirkung des Gesteins
sind auf Gestein wachsende Vorkommen von Moosen generell weniger
empfindlich gegenüber sauren Niederschlägen als epiphytische. Die
Karte bei Meinunger & Schröder (2007) zeigt eindrucksvoll, dass im
gesamten Norddeutschen Flachland fast nur historische Vorkommen zu
finden sind. Die wenigen rezenten Vorkommen sind neuen Datums. Zudem
beschränken sich fertile Vorkommen, die also Sporenkapseln ausbilden,
weitgehend auf die höheren Gebirge. Neben den Luftschadstoffen spielen die großflächige Entwässerung der Landschaft und der Umbau der Wälder
in Nadelholzmonokulturen sicher auch eine Rolle beim Rückgang der
luftfeuchteliebenden Art.
Die Blattspitze ist deutlich mit
teilweise nach rückwärts gebogenen Zähnen versehen. Daher auch
der Name. |
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Aufnahme: © Norbert Stapper |
Sprossspitzen von
Antitrichia curtipendula |
Seit der Jahrhundertwende wird gelegentlich ein
Wiederauftreten der Art aus einzelnen Gebieten Mitteleuropas
berichtet, so aus Brandenburg (2012 zwei Wiederfunde seit 1939; Müller
2013) oder aus Sachsen (2014 5 Wiederfunde seit 1923; Biedermann et al
2014). Zweifellos haben sich die lufthygienischen Bedingungen
hinsichtlich der Belastung mit Schwefelverbindungen in dem Zeitraum
deutlich verbessert, so dass mit einer Wiederausbreitung der Art
gerechnet werden kann. Dem steht allerdings die Schwierigkeit
entgegen, dass die wenigen Vorkommen außerhalb der Gebirge kaum oder
nie Sporogone bilden und damit eine Fernverbreitung so gut wie
ausgeschlossen ist. Inwieweit die Wiederfunde auf Neuansiedlungen
zurückzuführen sind oder ob es sich um neue Entdeckungen überdauernder
Kleinstpopulationen handelt, ist schwierig zu entscheiden. Keinesfalls
handelt es sich jedoch um ein massives Einwandern wie bei manchen
reichlich fruchtenden Orthotrichum-Arten oder einigen Flechten, wie
beispielsweise Normandina pulchella, der Flechte des Jahres 2024.
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Auf den Roten Listen wird Antitrichia curtipenula in
Deutschland als Art 3 = gefährdet gelistet. |
Antitrichia curtipendula, trocken -
Detail. Schladminger Tauern / Steiermark |
Aufnahme: © Christian Berg |
Auf den Roten Listen wird die Art unterschiedlich eingestuft:
Deutschland (2018): 3 (gefährdet), Österreich (1999): 3, r2
(gefährdet, regional stark gefährdet), Schweiz (2004): LC (nicht
gefährdet). Auf den Länderlisten Norddeutschlands ist die Gefährdung
stärker angegeben: Mecklenburg-Vorpommern (2009): 1 (vom Aussterben
bedroht), Schleswig-Holstein (2002): 1 (vom Aussterben bedroht),
Niedersachsen (2011): 2 (Stark gefährdet), Sachsen-Anhalt (2020): R
(extrem seltene Arten mit geographischer Restriktion). In
Süddeutschland ist die Bedrohungslage zumindest teilweise weniger
dramatisch: Bayern (2019): 2 (stark gefährdet; Alpen: ungefährdet,
außerhalb der Alpen: 1 (vom Aussterben bedroht), hier auch ein starker
Rückgang im kurzfristigen Bestandstrend! In Baden-Württemberg (2005):
3 (gefährdet).
In den Roten Listen Norddeutschlands
steht die Art in einigen Bundesländern vor dem Aussterben. |
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Aufnahme: © Michel Lüth |
Antitrichia curtipendula, trocken - Detail - Buchenbach /
Schwarzwald |
Biologie
Antitrichia curtipendula verbreitet sich generativ
durch Sporen. Die Bildung von Sporogonen ist allerdings bei schlechten
Umweltbedingungen unterdrückt, dann kann nur noch eine (ineffektive)
Nahverbreitung über Sprossbruchstücke erfolgen.
Herzlichen Dank an die Bryologisch-lichenologische
Arbeitsgemeinschaft für Mitteleuropa e.V., (BLAM) besonders Herrn
Dr. Wolfgang von Brackel, für den Pressebericht über das
Moos des
Jahres 2024 und die Möglichkeit seine Bilder, sowie die
Bildtafel von Frahm, J.-P. Stapper, N.J., Franzen-Reuter, I., 2007,
Aufnahmen von Michael Lüth, Norbert Stapper und Christian Berg, veröffentlichen zu dürfen.
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