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Die Flechte des Jahres seit 2004
Mehr Aufmerksamkeit für die Doppelwesen aus Pilz und
Alge
Gekürt wird die Flechte des Jahres von der
Bryologisch-lichenologische Arbeitsgemeinschaft für Mitteleuropa
(BLAM)
Jahr |
Flechte |
wissenschaftlicher Name |
2004 |
Die Gelbflechte |
Xanthoria parietina |
2005 |
Die Grubige
Bartflechte |
Usnea hirta |
2006 |
Die Caperatflechte |
Flavoparmelia caperata |
2007 |
Das Isländische
Moos |
Cetraria islandica |
2008 |
Die Wolfsflechte |
Letharia vulpina |
2009 |
Die Echte
Rentierflechte |
Cladonia rangiferina |
2010 |
Die Rosa
Köpfchenflechte |
Dibaeis baeomyces |
2011 |
Die Gewöhnliche
Feuerflechte |
Fulgensia fulgens |
2012 |
Die Echte
Lungenflechte |
Lobaria pulmonaria |
2013 |
Die 'Hundsflechten' |
Peltigera didactyla |
2014 |
Die
Landkartenflechte |
Rhizocarpon geographicum |
2015 |
Die Gelbfrüchtige
Schwefelflechte |
Psilolechia lucida |
2016 |
Die Heideflechte |
Icmadophila ericetorum |
2017 |
Das Hepps
Schönfleck |
Variospora flavescens |
2018 |
Die
Fransen-Nabelflechte |
Umbilicaria cylindrica |
2019 |
Die Breitlappige
Schüsselflechte |
Parmotrema perlatum |
2020 |
Finger-Scharlachflechte |
Cladonia digitata |
2021 |
Die
Gewöhnliche Mauerflechte |
Lecanora muralis |
2022 |
Die Zähe
Leimflechte |
Enchylium tenax |
2023 |
Die Falsche
Rentierflechte |
Cladonia rangiformis |
2024 |
Das Schöne
Muschelschüppchen |
Normandina pulchella |
Das Schöne Muschelschüppchen (Normandina
pulchella) ist die Flechte des Jahres 2024
Die Wahl fiel dieses Jahr auf zwei Arten, die nach massiven
Bestandseinbußen während der Zeiten hoher Belastung der Luft mit
Schadstoffen nun wieder eine, wenn auch unterschiedlich starke,
Zunahme erkennen lassen. Dies ist dem Wunsch geschuldet, mit den Arten
eine positive Botschaft zu übermitteln - leider geht dies auch nicht
ohne Wermutstropfen ab.
Warum sind Flechten und Moose gegenüber
Luftschadstoffen so empfindlich? Im Gegensatz zu Höheren Pflanzen
besitzen sie kein effektives Abschlussgewebe und nehmen Wasser mit der
gesamten Oberfläche auf. Insbesondere die epiphytischen, d.h. auf der
Rinde lebender Bäume wachsenden Arten sind für ihre Wasserversorgung
allein auf den Regen bzw. Tau angewiesen und haben sich durch eine
rasche Wasseraufnahme bei der ersten Benetzung an diese
Mangelsituation angepasst. Dadurch bekommen sie aber auch die
besonders hohe Schadstofffracht der ersten Regen- oder Nebeltropfen
ab, wenn die Luft noch nicht ausgewaschen ist. Zudem sind Moose und
Flechten auch oder gearde im Winterhalbjahr aktiv, wenn die Luft durch
Hausbrand und Inversionslagen besonders hoch belastet sind. Alle Arten
leiden darunter, manche kommen damit einigermaßen zurecht, andere gar
nicht. Unsere beiden Arten des Jahres gehören zu der letzteren Gruppe.
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Ein Bestand von
Normandina
pulchella an bemoostem
Baumstamm bei Oberstaufen / Oberallgäu. |
Das Schöne Muschelschüppchen ist die
Flechte des Jahres 2024 |
Bild: © Wolgang von Brackel / BLAM e.V. |
Auch schon vor der Industrialisierung waren Braun- und
Steinkohle verfeuert worden, doch erst mit deren massenhaftem Einsatz
in der Industrie und zur Stromerzeugung sowie dem Bau hoher
Schornsteine griffen die Emissionen, allen voran Schwefeldioxid, weit
ins Umland der Städte und zeigten hier ihre verheerenden Wirkungen.
Jetzt traten die empfindlichen Epiphyten nicht nur in den Städten und
in ihrem Umgriff, sondern im ganzen Land außerhalb der Gebirge ihren
Rückzug an. Das war die Zeit des Sauren Regens und der
Epiphytenwüsten. Durch Rauchgasentschwefelung und das Verfeuern
schwefelarmer Brennstoffe wurden die Schwefeldioxidimmissionen
erheblich reduziert und mit Beginn der 1990er Jahre begannen viele
Flechten und Moose mit der Wiederbesiedlung der Städte. Für Arten, die
leichte Diasporen erzeugen (sexuell erzeugte Sporen, vegetativ
erzeugte Soredien und Brutkörperchen) sind größere Distanzen leicht zu
überbrücken. Die Bedingungen am Zielort entscheiden, ob eine
dauerhafte Ansiedlung gelingt. Viele Moose aus der Gattung
Orthotrichum konnten so wieder von den Roten Listen gestrichen werden,
ebenso etliche Blattflechten und selbst Bartflechten aus der Gattung
Usnea. Die Staubige Kuchenflechte (Lecanora conizaeoides) jedoch, die
aufgrund ihrer hohen Toleranz gegenüber Säureeintrag oft als einzige
Flechtenart ausgeharrt hatte, verschwand sehr rasch und ist heute nur
noch an natürlich sehr sauren Standorten zu finden. Tatsächlich
verlief diese Wiederbesiedlung jedoch nicht wie die Auslöschung, also
lediglich mit umgekehrtem Vorzeichen, sondern gegenüber düngenden
Luftschadstoffen (z.B. Stickoxide, Ammoniak) tolerante oder durch
solche Substanzen sogar begünstigte Flechten und Moose hatten und
haben die Nase vorn. Als eine Folge des Klimawandels werden einige
Arten, die bislang in Deutschland selten waren oder hier zuvor nie
gefunden wurden, immer häufiger und breiten sich in der Regel von
Süden nach Norden und von Westen nach Osten aus. Dies betrifft
insbesondere Flechten, von denen einige inzwischen sogar in
standardisierten Verfahren als Klimawandel-Indikatoren eingesetzt
werden.
In unseren ... (weiter bei Moos des Jahres)
Das
Schöne Muschelschüppchen (Normandina pulchella)
Das Schöne
Muschelschüppchen wächst vorwiegend über Moosen, hauptsächlich
Lebermoosen wie Frullania oder Metzgeria, am Stamm lebender Bäume in
luftfeuchter Lage. Das Lager besteht aus kleinen, blaugrünen,
muschelförmigen Schüppchen, die Bestände bis zu einigen Zentimetern
Durchmesser bilden können. Einmal gesehen ist die Art unverwechselbar.
Detail eines Bestandes von
Normandina
pulchella auf Moosen bei Kempten / Oberallgäu |
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Bild: © Wolfgang von Brackel / BLAM
e.V. |
Normandina pulchella wächst vorwiegend über Moosen, am
Stamm lebender Bäume |
Aussehen
Das Lager des Schönen Muschelschüppchens ist
aus kleinen, kaum über 2 mm breiten, muschel- bis ohrförmigen
Schüppchen zusammengesetzt, die teils einzeln auftreten, teils sich zu
kleinen Beständen von mehreren Zentimetern Durchmesser
zusammenschließen. Die einzelnen Schüppchen sind blau- oder hellgrau,
matt, gelegentlich schwach konzentrisch gestreift, leicht wellig aber
der Unterlage mehr oder weniger anliegend und am Rand deutlich wulstig
aufgebogen. Überwiegend an den Rändern älterer Schuppen bricht das
Lager zu genannten Solaren auf, die feine rundliche vegetative
Verbreitungsorgane (Soredien) freigeben. Diese Sorale können sich
selten über das ganze Lager ausdehnen. Die sehr selten auftretenden
Fruchtkörper (Perithecien) sind annähernd kugelig, schwarz und in das
Lager eingebettet, aus dem sie auf der Unterseite deutlich
herausragen. Die Mündungsregion ragt nur leicht über die
Lageroberseite. Die Sporen sind farblos, zigarrenförmig, bestehen aus
6 - 8 Zellen und liegen zu 8 in den Sporensäcken (Asci). Die
Tüpfeltests mit den üblichen Chemikalien fallen alle negativ aus.
Verwechslungen sind bei genauem Hinsehen kaum möglich. Ähnlich
sehen allenfalls sterile Schuppen verschiedener Cladonia-Arten aus,
die aber in der Regel von der Unterlage mehr oder weniger abstehen und
keinen wulstig aufgebogenen Rand aufweisen. Auch finden sich hier die
Sorale, wenn vorhanden, an der Schuppenunterseite. Die Basidiolichene
Muschel-Hutflechte (Lichenomphalia hudsoniana) besitzt eher reingrüne
Lagerschuppen ohne Sorale und lebt auf Rohboden, nicht an der Borke
von Bäumen.
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Ein Bestand von
Normandina
pulchella über Moosen und einem
absterbenden Lager der Lungenflechte (Lobaria pulmonaria) bei
Fagnano / Kalabrien. |
Normandina pulchello siedelt auch
dierekt auf der Borke |
Bild: © Wolfgang von Brackel / BLAM e.V. |
Ökologie
Normandina pulchella kommt hauptsächlich über
Moosen (gerne auf Frullania) an der Borke von Laubbäumen vor, siedelt
aber auch direkt auf der Borke oder an Silikatfelsen. Ihren
Schwerpunkt hat sie im unteren bis mittleren Bergland (submontan bis
montanen) in niederschlagsreichen, milden Lagen. Sie steigt aber auch
in niedere Lagen herab und bevorzugt hier beregnete Baumstämme, gerne
in Obstgärten oder in luftfeuchten, nicht zu dunklen Wäldern.
Insegesamt zeigt sie eine leicht ozeanische Tendenz, d.h. eine
Bevorzugung niederschlagsreicher, luftfeuchter Lagen, allerdings mit
einem weiten Ausgreifen in die weniger ozeanischen Gebiete.
Typischerweise kommt
Normandina
pulchella über Lebermoosen vor, hier auf dem Gabeligen
Igelhaubenmoos (Metzgeria furcata) am Taubenberg / Oberbayern. |
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Bild: © Wolfgang von Brackel / BLAM
e.V. |
Normandina pulchella profitiert von der Verbesserung der
Luftreinhaltung |
Verbreitung und Gefährdung
Unsere Art hat eine
weltweite Verbreitung und kommt auf allen Kontinenten außer der
Antarktis vor. In Europa reicht ihr Areal von den griechischen Inseln
und Südspanien bis nach Lappland und Island, von Portugal und Irland
bis zum Kaukasus. Sie kommt in Mitteleuropa von der Küste bis in
montane Lagen vor und erreicht in den Alpen etwa 1500 Meter (Schauer
1965).
Normandina pulchella gehört zu den Arten, die seit der
Verbesserung der lufthygienischen Bedingungen zum Ende des letzten
Jahrhunderts, insbesondere der massiven Reduzierung der Emissionen von
Schwefelverbindungen, deutlich häufiger geworden sind. Möglicherweise
hat die Art nun wieder zumindest einen Teil ihres früheren Areals
zurückerobert. Sie war etwa Mitte des 19.Jahrhunderts z.B. im
kontinental getönten Mittelfränkischen Becken mehrfach angegeben
(Krempelhuber 1861) und dann dort nie mehr beobachtet worden. Die
historische wie auch die ganz neue Verbreitung legen nahe, dass es
weniger das ozeanische Klima in den Gebirgen als vielmehr die
geringere Luftbelastung war, die die Art dort überleben ließ. Dazu
passt, dass die Art etwa in Nordamerika keineswegs eine ozeanische
Verbreitung besitzt (Culberson & Hale 1966). Durch die deutliche
Zunahme der Art in den letzten 20 Jahren - es gibt inzwischen Funde an
Alleebäumen in Düsseldorf - kann sie in ganz Mitteleuropa nicht mehr
als gefährdet gelten.
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Ein Schüppchen von
Normandina
pulchella im Weißachtal /
Oberallgäu. |
Die Art hat eine weltweite
Verbreitung und kommt auf allen Kontinenten, außer der Arktis,
vor. |
Bild: © Wolfgang von Brackel / BLAM e.V. |
Biologie
Normandina pulchella verbreitet sich in
Mitteleuropa fast ausschließlich durch Soredien, nur ganz
ausnahmsweise werden Fruchtkörper (Perithecien) gebildet, in denen
Sporen heranreifen, durch die sich die Art sexuell fortpflanzt.
Interessanterweise wurde Normandina pulchella lange Zeit,
möglicherweise wegen der Ähnlichkeit der Schüppchen mit
Lichenomphalia, für eine Basidiolichene und die Perithecien für einen
auf der sterilen Flechte parasitierenden flechtenbewohnenden Pilz
gehalten. Dieser war als Sphaeria borreri beschrieben worden und wurde
später Lauderlindsaya borreri genannt. Erst molekulare Untersuchungen
konnten zeigen, dass es sich wirklich um die Perithecien der Flechte
handelt.
Zwei Schuppen von
Normandina
pulchella direkt auf Borke zwischen
Parmeliella triptophylla
am Freibergsee / Oberallgäu. |
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Bild: © Wolfgang von Brackel / BLAM
e.V. |
Normandina pulchella verbreitet sich in Mitteleuropa fast
ausschließlich durch Soredien |
Parasiten und Medizin
Die kleinen Schuppen von
Normandina pulchella können von einer Reihe von Parasiten befallen
werden. Spezifisch für die Art sind Capronia normandinae,
Globosphaeria jamesii, Cladophialophora normandinae und
Tremella
normandinae, während Nectria byssophila, Paranectria oropensis,
Thelocarpon epibolum und Cladophialophora parmeliae auch auf einer
Reihe anderer Wirtsflechten vorkommen.
Herzlichen Dank an die Bryologisch-lichenologische
Arbeitsgemeinschaft für Mitteleuropa e.V. (BLAM) vor allem an Herrn
Dr. Wolfgang von Brackel für den Pressetext und die Erlaubnis seine
Bilder verwenden zu dürfen.
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