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Die Einzeller des Jahres seit 2007
Im Mai 2007 hat die Deutsche Gesellschaft für Protozoologie
auf einer Tagung in Salzburg einen Einzeller des Jahres gewählt. Mit
ihrer Wahl wollten die Wissenschaftler darauf aufmerksam machen, dass
die große Gruppe der Einzeller eine wichtige Rolle für die Ökosysteme
der Erde spielt.
Der Einzeller des Jahres wird von der Deutschen
Gesellschaft für Protozoologie bestimmt.
Die bisherigen Einzeller des Jahres
Jahr |
Name (deutsch) |
wissenschaftlicher Name |
2007 |
Pantoffeltierchen |
Paramecium |
2008 |
keine Nennung |
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2009 |
Wimpertierchen-Gattung |
Tetrahymena |
2010 |
Augentierchen |
Euglena |
2011 |
Schleimpilz-Gattung |
Dictyostelium discoideum |
2012 |
Amöben-Gattung |
Acanthamoeba |
2013 |
Sonnentier |
Actinophrys sol |
2014 |
Trompetentierchen |
Stentor |
2015 |
Vampiramöben-Gattung |
Vampyrella |
2016 |
Trichomonas |
Trichomonas vaginalis |
2017 |
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Diaphanoeca grandis |
2018 |
Tintinnen |
Dictyocysta mitra |
2019 |
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Nuclearia |
2020 |
Dinoflagellaten-Art |
Dinophysis acuta |
2021 |
Schleimpilz-Art |
Physarum polycephalum |
2022 |
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Blastocystis |
2023 |
Grünes Gallertkugeltierchen |
Ophrydium versatile |
Der Einzeller des Jahres 2022 - Blastocystis - ein
immer noch rätselhafter Einzeller
Überblick
Die Protistengattung
Blastocystis gehört zu den
Stramenopila, die ihren Namen ("Strohhaarlinge") nach kleinen
verzweigten Härchen auf einer ihrer beiden Geißeln erhalten haben.
Blastocystis wurde erstmals 1911 von Alexeieff erwähnt. Dieser
Einzeller ist ein fakultativ pathogener Darmparasit, der in Form einer
Verbreitungs- und Überdauerungszyste weitergegeben wird. Als Zyste
kann Blastocystis die Magensäuren passieren oder auch bei ungünstigen
Temperaturen in der Umwelt überdauern. Am häufigsten kommt der
blasenförmige Einzeller einer vakuolären Form vor, d.h. eine große
Vakuole (ein Zellorgan in Pflanzenzellen) füllt fast den ganzen
Innenraum der Zelle aus, Zytoplasma und Zellorganelle sind an den Rand
gedrängt. Die Vakuole ist als Speicherorgan anzusehen und kann einen
granulären Inhalt aufweisen (granuläre Form). Weiterhin kann
Blastocystis als kleine amöboide Form auftreten, die vor allem bei
infizierten Menschen gefunden wird, welche auch tatsächlich Symptome
aufweisen.
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Der weit verbreitete Darmerreger vom Typ Blastocystis sind
die "Einzeller des Jahres 2022". Das meldete die Deutsche
Gesellschaft für Protozoologie (DGP). |
Der Einzeller des Jahres
Blastocystis
- Freilandprobe |
Bild: © Hess |
Historisches
Ursprünglich wurde vermutet, dass
Blastocystis eine Hefe, ein anderer Pilz, eine Amöbe oder ein
Sporentierchen sei. Erst durch molekulargenetische Analysen fand man
die wahre Verwandtschaft mit den Stramenopila heraus.
Wissenswertes
Die Mikrobiom-Forschung hat ergeben, dass das
Zusammenspiel der Darmbewohner (Einzeller und Bakterien) eine
wichtige Rolle für Wohlbefinden und Gesundheit des Wirtes spielen.
Sind die Mikroorganismen im Gleichgewicht, spricht man von Eubiose.
Verschiebt sich das Gleichgewicht durch z.B. Ernährung, Medikamente
oder Stress, können ungünstige "krankmachende" Mikroorganismen
überwiegen (Dysbiose) und zu Beeinträchtigungen führen. Blastocystis
scheint hierbei oft eine positive Wirkung zu haben, wie neuere
Forschungen andeuten. So wird dieser Einzeller z.B. häufiger bei
normalgewichtigen als bei übergewichtigen Personen gefunden.
Krankmachende Eigenschaften dieses Einzellers werden demnach von den
Umständen und der Umwelt bestimmt.
Blastocystis sei bei rund 30 Prozent
der europäischen Bevölkerung im Darm zu finden, in tropischen
Regionen und Entwicklungsländern häufiger. "Eine
Blastocystis-Infektion ist aber meist symptomlos", schreibt
die DGP. |
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Bild: © Deutsche Gesellschaft für
Protozoologie (DGP) |
Einzeller
Blastocystis Lebenszyklus
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Wirte
Blastocystis kommt im Verdauungstrakt des Menschen und vieler
Tierarten vor (z.B. Nutztiere, Nager, Affen, Reptilien, Amphibien,
Vögel, Insekten z.B. Schaben) und ist wenig wirtsspezifisch. Vor allem
in Schweinen ist er ein sehr häufiger Darmbewohner. Artnamen wurden in
dieser Gattung entsprechend dem Vorkommen in einem bestimmten Wirt
vergeben (z.B. isoliert aus einer Ratte = B. ratti). Der Artname
B.
hominis steht für humane Isolate. Als sich zeigte, dass die Blastocystis-Arten
jeweils nicht spezifisch für einen bestimmten Wirt sind, ging man dazu
über, genetisch unterschiedliche Subtypen abzugrenzen und zu benennen.
Aufgrund charakteristischer Gensequenz-Unterschieden des 18S rRNA-Gens
werden derzeit 28 verschiedene Blastocystis-Subtypen eingeteilt, die
sich dem Aussehen nach kaum unterscheiden.
Erreger
Blastocystis lebt im Darm und gehört zu den häufigsten eukaryotischen
Organismen, die im menschlichen Darm vorkommen. Dort ernährt sich der
Einzeller von den zahlreich vorhandenen Bakterien. Er ist weltweit
verbreitet und bei ca. 30% der europäischen Bevölkerung zu finden,
weitaus häufiger aber in tropischen Regionen und Entwicklungsländern.
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Blastocystis-Formen gehörten zu den häufigsten
nicht-bakteriellen Organismen, die im menschlichen Darm
vorkommen. Dort ernähre sich der Einzeller von den zahlreich
vorhandenen Bakterien. |
Einzeller
Blastocystis -
Freilandprobe |
Bild: © Hess |
Die Besiedelung neuer Wirte erfolgt durch verunreinigtes Trinkwasser
oder kontaminierte Lebensmittel. Blastocystis kann eine
Reiseerkrankung während oder nach dem Urlaub in tropischem Klima
auslösen. Da Blastocystis ein "zoonotischer" Erreger zu sein scheint
und auch in vielen Nutztieren vorkommt, können Landwirte oder
Tierhändler häufiger besiedelt sein. Eine Blastocystis-Infektion ist
aber meist symptomlos und erst die Massenvermehrung im Darm kann zu
Durchfällen führen (Blastozystose). Der Erreger ist tatsächlich nur an
-1% der Durchfallerkrankungen beteiligt; er wird in gesunden und
kranken Personen gefunden. Bei immunsupprimierten Menschen (z.B.
AIDS-Patienten) aber auch bei immungesunden mit anhaltenden
Durchfällen wird er in hoher Dichte nachgewiesen. Ein kausaler
Zusammenhang zwischen Besiedelung und Durchfallerkrankungen ist jedoch
noch immer unklar.
Klassifikation: |
Domäne: |
ohne Rang: |
ohne Rang: |
ohne Rang: |
Gattung |
Lebewesen |
Eukaryoten |
Diaphoretickes |
Sar |
Stramenopile |
Blastocystis |
Steckbrief
Blastocystis
fakultativ pathogener Darmparasit
Einzeller mit
kugeliger oder ovaler Gestalt
weltweit verbreitet
Größe 10 - 15 Mikrometer (5 - 30 Mikrometer; vakuoläre
Form: 2 - 200 Mikrometer), Zyste 3 - 10 Mikrometer
1 -
4 Zellkerne (1 - 2 in der Zyste)
anaerob
Mitochondrium-ähnliches Organell
ernährt sich von
Bakterien
kleines Genom (<19 Mega-Basenpaare) mit ca.
6000 Genen
die Gattung Blastocystis gehört
zusammen mit vielen freilebenden Gattungen zur Protistengruppe
der Stramenopila
Blastozystose (engl.
blastocystosis): - keine spezifischen Symptome -
wässriger Durchfall, Übelkeit, Blähungen, Bauchkrämpfe,
Appetitlosigkeit - Nachweis mit dem Lichtmikroskop in der
möglichst frischen Stuhlprobe - Bestimmung des Subtyps
mittels molekulargenetischer Methoden (d.h. Vervielfältigung
eines Genabschnittes mit der
Polymerase-Kettenreaktion (PCR) und Bestimmung der Sequenz). |
Vielen Dank an die Deutsche
Gesellschaft für Protozoologie (DGP), für den Pressetext
sowie die Möglichkeit Aufnahmen des Bildautors Herrn Dr. Hess,
veröffentlichen und zeigen zu können.
Möchten Sie
mehr über die Lebensweise der Einzeller wissen:
www.protozoologie.de
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