|
Die Algen des Jahres seit 2007
Hintergrund
Seit dem Jahr 2007 wählt die Sektion Phykologie
je eine Alge des Jahres (#AlgeDesJahres), die sie der Öffentlichkeit
vorstellt. Algen sind die wichtigsten Sauerstoffproduzenten unserer
Erde. Dazu verbrauchen sie das Treibhausgas Kohlendioxid. Allein die
Gruppe der Kieselalgen (Diatomeen) ist für 25% der weltweiten, d.h.
terrestrischen und aquatischen Primärproduktion verantwortlich.
Kieselalgen stellen somit jedes vierte Sauerstoffmolekül unserer
Atmosphäre her. Das ist nicht verwunderlich, schließlich sind zwei
Drittel der Erdoberfläche von Ozeanen und Seen bedeckt, deren Licht
durchflutete Zonen von Algen bewohnt werden. Darüber hinaus sind die
Algen von großer stammesgeschichtlicher Bedeutung, denn die Wiege
aller Landpflanzen und Tiere stand im Meer. Die Algenforscherinnen und
-forscher möchten mit den Algenportrais auch andere für diese
wichtige, faszinierende und formenreiche Organismengruppe begeistern.
Jahr |
Alge |
2007 |
Der Seetang |
2008 |
Die Zieralge
Micrasterias |
2009 |
Emilinania huxleyi |
2010 |
Die Froschlaichalge |
2011 |
Die Kieselalge |
2012 |
Armleuchteralge
Chara |
2013 |
Lingulodinium
polyedrum |
2014 |
Die Grünalge
Chlamydomonas reinhardtii |
2015 |
Meersalat Ulva |
2016 |
Eisalge
Melosira arctica |
2017 |
Die
Blaugrüne Felskugel Chroococcidiopsis |
2018 |
Grünalge
Klebsormidium |
2019 |
Die blutrote
Schneealge Chlamydomonas nivalis |
2020 |
Chromera velia |
2021 |
Schlauchalge Vaucheria velutina |
2022 |
Panzergeißler
Stylodinium |
2023 |
Die landlebende
Jochalge Serritaenia |
2024 |
Sargassum |
Alge des Jahres 2024 - Sargassum - von
schädigenden Massenblüten zum nachhaltigen Rohstoff
Die Weltmeere beherbergen zahlreiche Algenarten, von mikroskopisch
kleinen Einzellern bis hin zu meterlangen Seetangen. Zu den letzteren
gehört auch die freischwimmende Braunalge Sargassum (Golftang), die
mit ihren Massenblüten die Oberfläche des atlantischen Ozeans von
Afrika bis Amerika durchspannen kann. Dr. Mar Fernández-Méndez und Dr.
Miriam Philippi vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für
Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven (AWI), erforschen die
Kohlenstoff- und Nährstoffkreisläufe dieser Massenblüten, deren
Funktion als vielfältiger artenreicher Lebensraum sowie ihr Potenzial,
erdölbasierte Stoff zu ersetzen und gleichzeitig CO2 zu binden. Die
Sargassum-Arten, S. natans und S. fluitans, kommen ausschließlich als
freischwimmende Algen vor, was sie zu einer Besonderheit unter den
Großalgen macht. Die Algenforscherinnen und Algenforscher der
Deutschen Botanischen Gesellschaft haben Sargassum deshalb zur Alge
des Jahres 2024 gekürt.
|
Sargassum fluitans. Die gut sichtbaren Schwimmblasen
erlauben ein Treiben an der Meeresoberfläche. |
Sargassum - Alge des Jahres 2024 |
Bild: © Dr. Miriam Philippi |
Bereits Christoph Kolumbus war fasziniert von den ausgedehnt
treibenden Teppichen, die sich vor ihm in der Mitte des Atlantiks
auftaten. Heute wiessen wir, dass diese Braunalgenbestände ein äußerst
artenreiches Ökosystem beherbergen. Die Algen stammen ursprünglich aus
der Sargassosee, einem relativ nährstoffarmen Meeresgebiet unweit des
berüchtigten Bermudadreiecks. Durch veränderte Meeresströmungen in den
vergangenen 15 Jahren "entkamen" freischwimmende Sargassum-Arten aus
dem Gebiet und bilden seit 2011 jährlich wiederkehrende Massenbestände
aus. Der dadurch entstehende, sich von Westafrika bis in die Karibik
erstreckende 8000 km lange "große atlantische Sargassum-Gürtel", ist
die größte Algenblüte der Welt und enthält etwa 20 Millionen Tonnen
Biomasse. Dies entspricht einem Wald von etwa 1800 Quadratkilometer,
also ungefähr der doppelten Fläche von Berlin.
Im Meer auf
Felsen angewachsen oder freischwimmend
Im Gegensatz zu anderen
Braunalgen-Gruppen ist Sargassum vor allem in warmen und tropischen
Meeren anzutreffen. Dort sind die bis zu 16 Meter langen Algen an
felsigen Meeresböden angewachsen und stehen wie Bäume aufrecht im
Wasser, um an der Sonne Photosynthese betreiben zu können. Der
Auftrieb wird möglich durch Lufteinschlüsse in Schwimmblasen, die man
schon mit dem bloße Auge an der braunen Oberfläche der Algen erkennen
kann. Wellen, Strömungen und Stürme können Sargassum zerbrechen und an
die Wasseroberfläche treiben. Diese Bruchstücke wachsen dann aber
rasch weiter und können so ihre Masse in nur 12 bis 14 Tagen
verdoppeln, was ihre Verbreitung in den Meeren unterstützt. Zwei
Sargassum-Arten, S.natans und S. fluitans, haben den sesshaften
Lebensstil sogar komplett hinter sich gelassen und kommen
ausschließlich freitreibend vor. Diese freitreibenden
Sargassum-Bestände sind enorm produktiv. An der Wasseroberfläche
profitieren sie von den steigenden Meerestemperaturen und den ins Meer
gelangten Nährstoffen aus der Landwirtschaft, die die wachsenden Sargassum-Bestände düngen. Aufgrund der Strömungen gelangen riesige
Bestände dieser treibenden Algen schließlich in Küstenbereiche, wo sie
in Ländern der Karibik und in Westafrika schwerwiegende Umwelt- und
Gesundheitsprobleme verursachen und die Wirtschaft schädigen.
Steigende Meerestemperaturen und ins
Meer gelangte Nährstoffe aus der Landwirtschaft begünstigen
den Wachstum der Sargassum-Bestände. |
|
Bild: © Nicola Schwehm |
Sargassum - Massenblüte vor Mexiko |
Algen und Menschen - volle Strände in Tourismusgebieten
Die
Massenbestände aus Makroalgen mögen aus der Distanz faszinierend
anmuten, doch der unmittelbare Kontakt mit ihnen kann unangenehme
Konsequenzen haben. An den Strand gespült, beginnt Sargassum innerhalb
von Tagen zu verrotten. Schwefelwasserstoff und Ammoniak werden dabei
freigesetzt. Dieses nach faulen Eiern riechende Gasgemisch kann die
Haut und Atemwege schädigen. In stark betroffenen Ländern wie Mexiko
gehen Strandarbeiter - die sogenannten "Sargazeros" - zum Schutz des
Tourismus dagegen vor, indem sie Sargassum mit Hilfe von großen Netzen
aus den Küstengewässern entfernen, auf dem Strand auftürmen, trocknen
und abtransportieren. Die Verwendung dieser Biomasse folgt bisher noch
keiner einheitlichen Strategie, was auch daran liegt, dass Sargassum
nicht nur Nährstoffe rasch aufnimmt, sondern auch giftige
Schwermetalle wie Arsen anreichern kann. Zwar wurden bereits Verfahren
zur Entfernung des Arsens entwickelt, doch die stark schwankende
Versorgung der Unternehmen mit Sargassum-Biomasse in gleicher Qualität
aufgrund des jährlichen Zyklus der Sargassum-Blüte behindert
effiziente Weiterentwicklung solcher Methoden.
Massenblüten:
Schädlich in Küstensystemen, aber nützlich im offenen Ozean
Massenblüten schädigen nach Anschwemmen Küstenökosysteme, indem sie
den unter ihnen lebenden Organismen das Sonnenlicht rauben oder
schlüpfende Schildkröten daran hindern, an die Wasseroberfläche zu
gelangen. Wenn die Algen verrotten, kann das zu Nährstoffüberschüssen
führen und Korallenriffe schädigen. Gleichzeitig bieten natürliche
Sargassum-Bestände im offenen Ozean einen essentiellen Laichgrund,
Brutplatz und Rückzugsort für zahlreiche Fische, Schildkröten und
andere Meerestiere. Außerdem bieten die langen Algengürtel Schutz und
werden dehalb von den Tieren als Migrationsroute verwendet. Kleine
Fische und Larven locken mikrobielle Zersetzer und größere Raubtiere
an, was ein vielfältiges Ökosystem mitten in einer ozeanischen Wüste
ermöglicht. Einige Tiere sind sogar so gut an das Leben in
Sargassum-Beständen angepasst, dass sie die Algen in ihrem Namen
tragen, wie der bräunliche Sargasso-Fisch.
Von schädigenden
Massenblüten zum nachhaltigen Rohstoff
Sargassum ist sehr
effizient bei der Aufnahme von CO2 und benötigt vergleichsweise wenig
Nährstoffe für ein rasches Wachstum. Diese vorteilhaften Eigenschaften
haben in der letzten Zeit einiges wissenschaftliches und kommerzielles
Interesse für das Potenzial der Alge in klimaschützenden Innovationen
im Bereich der "blauen Bioökonomie" geweckt. In der von Dr.
Fernández-Méndez geleiteten Foschungsgruppe am AWI wird das Potenzial
von Sargassum für die langfristige Entfernung und Speicherung von CO2
in nützlichen Produkten für die Kreislaufwirtschaft und als
Kohlenstoff-Senke erforscht. Im Rahmen des
"sea4soCiety-Sargassum-Projekts", das als Teil der
CDRmare-Forschungsmission vom Bundesministerium für Bildung und
Forschung gefördert wird, untersucht die Gruppe den Kohlenstoff- und
Nährstoffkreislauf von Sargassum mithilfe von Probennahmen,
Wachstumsexperimenten und Luftüberwachung mit Drohnen. Dies geschieht
in Mexiko und auf den karibischen Inseln von St. Vincent und den
Grenadinen. Diese aufwendige Feldforschung wird durch chemische
Analysen der Biomasse und durch Modellierungen im Labor in Bremerhaven
unterstützt. Ein weiterer Schwerpunkt der Forschung geht der Frage
nach, wie Algenprodukte genutzt werden können, z.B. als Kunststoffe
oder Düngemittel, um erdölbasierte Materialien zu ersetzen. So wird
untersucht, wie Sargassum als möglicher CO2-Speicher in der
Kreislaufwirtschaft genutzt werden kann und welche ökologischen Fragen
sich stellen, z.B. bei der Umwandlung in Biokohle bei Hochtemperaturen
oder beim Absinken in die Tiefsee, wie es bereits als natürlicher
Prozess geschieht. Diese und andere internationale Arbeitsgruppen
untersuchen, ob Sargassum im offenen Ozean kontrolliert kultiviert
werden kann. Ein Vorteil ist dabei, dass die freischwimmende Alge nur
wenig Infrastruktur für ihr Wachstum benötigt und dadurch
kostengünstig im großen Maßstab angebaut werden könnte. Weitere
Forschung ist erforderlich um die Skalierbarkeit und die
Umweltauswirkungen solcher Maßnahmen genau einschätzen zu können.
Vielen Dank an Frau Dr. Mar Fernándes-Méndez und
Frau Dr. Miriam Philippi, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum
für Polar- und Meeresforschung, Bremerhaven (AWI), für den Pressetext
und der Bilder von Frau Dr. Miriam Philippi und Frau Nicola Schwehm,
die ich hier veröffenlichen kann.
zurück
|
|