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Die Mikroben des Jahres seit 2014
Die Mikrobe des Jahres wird 2014 erstmals benannt.
Mikrobiologen der Vereinigung für Allgemeine und Angewandte
Mikrobiologie (VAAM) wählten sie aus, um auf die Vielfalt der
mikrobiologischen Welt hinzuweisen. Während in der Bevölkerung
Mikroorganismen vor allem als Krankheitsauslöser bekannt sind, spielen
Mikroorganismen eine weit bedeutsamere Rolle für die Ökologie,
Gesundheit, Ernährung und Wirtschaft, worauf die Mikrobe des Jahres
hinweisen soll.
Die VAAM vertritt rund 3500 mikrobiologisch orientierte
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Forschung und Industrie.
Die Bandbreite der Forschung reicht von Bakterien und Pilzen in allen
Ökosystemen und in Lebensmitteln über Krankheitserreger bis hin zu
Genomanalysen und industrieller Nutzung von Mikroorganismen, ihren
Enzymen und Stoffwechselprodukten.
Bisherige Mikroben des Jahres:
Jahr |
Mikrobe |
2014 |
Nostoc |
2015 |
Rhizobium |
2016 |
Streptomyces |
2017 |
Halobacterium salinarum |
2018 |
Lactobacillus |
2019 |
Magnetospirillum |
2020 |
Myxococcus xanthus |
Die "Mikrobe des Jahres 2020":
Myxococcus xanthus - Ein soziales und kommunikatives
Bakterium
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Ein Zellschwarm von
Myxococcus xanthus
(links) greift eine fremde Bakterienkolonie an. |
Myxococcus xanthus
- Jagd im Schwarm auf E.coli-Kolonie |
Aufnahme: HIPS |
Sie rotten sich zu Hunderttausenden zusammen, belagern das Opfer und
vernichten es schließlich. Myxococcus xanthus ist ein in der
Gruppe aktiver Jäger, der andere Bakterien als Nahrungsquelle nutzt.
Dazu müssen die winzigen stäbchenförmigen Bakterien miteinander
kommunizieren und ihr Verhalten koordinieren. Dieses faszinierende und
in sozialem Verband lebende Bakterium wählte die Vereinigung für
Allegemeine und Angewandte Mikrobiologie (VAAM) zur "Mikrobe
des Jahres 2020".
Jagd im Schwarm und Kannibalismus
Bei Nahrungsmangel lauert
Myxococcus xanthus geschützt auf
bessere Zeiten: Unzählige Zellen finden sich gezielt zu einem
kugelförmigen Haufen zusammen und bilden einen Pilz-ähnlichen
gelben Fruchtkörper. ... |
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Aufnahme: Jürgen Berger / Supriya
Kadam, CC BY-NC 4.0 |
Hunderttausende Zellen von
Myxococcus xanthus formen bei
Nahrungsmangel einen kugeligen Fruchtkörper mit dauerhaften
Sporen im Inneren |
... Die schlanken, stäbchenförmigen Zellen verwandeln sich in runde
Sporen, die Hunger- und Trockenzeiten überdauern können. Fruchtkörper
und Sporen verdankt das Bakterium seinen Namen: Die Fruchtkörper sind
gelb (griech.: xanthos), die Sporen kugelig (coccos) und die Zellen
produzieren einen Schleim (myxa), der die Gemeinschaft zusammenhält.
Der größte Teil hungernder Zellen löst sich jedoch auf und dient als
Nahrungsquelle - kannibalistischer Selbstmord zum Überleben der
Population.
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Fruchtkörper der Mikrobe des Jahres 2020
Myxococcus
xanthus. |
Fruchtkörper von
Myxococcus xanthus |
Aufnahme: HIPS |
Ein kleiner Teil stäbchenförmiger Zellen bleibt außerhalb des
Fruchtkörpers und hilft, neue Nahrungsquellen zu erkennen. Ist der
unwirtliche Zustand vorüber, bilden sich aus den verbliebenen Stäbchen
und Sporen des Fruchtkörpers wieder aktive Zellgemeinschaften, die
erneut zum Beutezug ausschwärmen.
Faszinierende
Sozialstrukturen
Der im Boden lebende Myxococcus xanthus ist
ein Musterbeispiel für soziale Koordination unter einzelligen
Mikroorganismen. Dafür ist eine präzise Kommunikation zwischen den
Zellen notwendig. Verschiedene Signalstoffe und komplexe
Empfangssysteme sorgen für eine Abstimmung benachbarter Zellen, wie
sie selbst Mikrobiologen von ihren winzigen Forschungsobjekten kaum
erwartet hatten. Der gemeinschaftlich gebildete Fruchtkörper ist fast
mit bloßem Auge zu erkennen. Die Kugeln erreichen die Dicke eines
Blatts Papier. Verwandte Myxobakterien bilden noch größere
Bäumchen-ähnliche Strukturen von der Dicke eines Fingernagels.
Beweglich durch Ziehen und Gleiten
Die einzelnen Bakterien können sich auf zwei verschiedene
Arten bewegen. Zum einen nutzen sie haarförmige Anhängsel
(Pilus) aus tausenden Proteinuntereinheiten. Jeder einzelne
Pilus kann sich verlängern, an Oberflächen anheften und dann
wieder verkürzen. ... |
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Aufnahme: Treuner-Lange / MPI
Marburg |
Myxococcus xanthus-Zellen in
Gruppen und vereinzelt |
... So entsteht eine Kraft, die die Zelle nach vorne zieht. Zum
anderen können die Bakterien gleiten. Dabei heften sie sich mit Hilfe
von Proteinkomplexen an den Untergrund. Diese Proteinkomplexe
entstehen am vorderen Zellpol, binden an den Untergrund und wandern
dann an das hintere Ende der Zelle. So schiebt sich die Zelle nach
vorne. Beide Bewegungsmechanismen wiederholen sich kontinuierlich und
bringen einzelne Zellen und große Zellgruppen koordiniert voran. "Es
ist faszinierend, die unterschiedlichen Bewegungsmuster von M.
xanthus in den räuberischen Schwärmkolonien und während der
Fruchtkörperbildung zu beobachten", so Myxobakterien-Forscherin Anke
Treuner-Lange vom Marburger Max-Planck-Institut.
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Ein Baukasten aus Naturstoffen für Medikamente
Kein
Wunder, dass Myxococcus
xanthus mit fast zehn Millionen
Basenpaaren eins der größten bakteriellen Genome besitzt. ... |
Ein gelber Signalstoff aus
Myxococcus
xanthus unterstützt die Bildung von
Dauerformen, die bei
widrigen Bedingungen überleben können. Andere Naturstoffe aus
Myxobakterien steuern das Schwarmverhalten oder wirken als
Antibiotika. |
Aufnahme: HIPS |
... Die aufwändige Lebensweise führt zudem dazu, dass
Myxobakterien viele biologisch aktive Stoffe bilden, darunter
Antibiotika zum Abtöten ihrer Opfer und Botenstoffe zur Kommunikation.
Über 130 solcher Sekundärmetabolite (Stoffe, die nicht unmittelbar dem
Stoffwechsel dienen) sind mittlerweile beschrieben. Wie in einem
Baukasten setzen die Myxobakterien verschiedene kleine Moleküle zu
komplexen Stoffen zusammen. Dazu zählen beispielsweise die
charakteristischen gelben Farbstoffe (DKxanthene), die eine wichtige
Rolle bei der Entwicklung von Sporen zu aktiven Zellen spielen. Ein
flüchtiger Stoff, Geosmin, ist für den typischen erdigen Geruch von
M.
xanthus verantwortlich. Myxobakterien werden als Quelle für neue
Antibiotika und Therapeutika zunehmend interessant. Das kürzlich
entdeckte Corallopyronin könnte ein neues Breitbandantibiotikum
werden. Der genetische Bauplan aus einem anderen Myxobakterium wurden
in das Modellbakterium M. xanthus kloniert, um ausreichende Mengen an
Corallopyronin herstellen und so die Wirksamkeit genauer untersuchen
zu können. Auch Wirkstoffe gegen Krebs, Viren und im Pflanzenschutz
gegen Pilzerkrankungen werden derzeit erforscht.
Vielen Dank an Frau Dr. Anja Störiko, VAAM, für die
Erlaubnis Ihren Pressetext veröffentlichen zu können und die übersandten Bilder zeigen zu dürfen.
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