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Die Mikroben des Jahres seit 2014
Die Mikrobe des Jahres wird 2014
erstmals benannt. Mikrobiologen der Vereinigung für Allgemeine und
Angewandte Mikrobiologie (VAAM) wählten sie aus, um auf die Vielfalt
der mikrobiologischen Welt hinzuweisen. Während in der Bevölkerung
Mikroorganismen vor allem als Krankheitsauslöser bekannt sind, spielen
Mikroorganismen eine weit bedeutsamere Rolle für die Ökologie,
Gesundheit, Ernährung und Wirtschaft, worauf die Mikrobe des Jahres
hinweisen soll.
Die VAAM vertritt rund 3500 mikrobiologisch orientierte
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Forschung und Industrie.
Die Bandbreite der Forschung reicht von Bakterien und Pilzen in allen
Ökosystemen und in Lebensmitteln über Krankheitserreger bis hin zu
Genomanalysen und industrieller Nutzung von Mikroorganismen, ihren
Enzymen und Stoffwechselprodukten.
Bisherige Mikroben des Jahres:
Jahr |
Mikrobe |
2014 |
Nostoc |
2015 |
Rhizobium |
2016 |
Streptomyces |
2017 |
Halobacterium salinarum |
2018 |
Lactobacillus |
2019 |
Magnetospirillum |
2020 |
Myxococcus xanthus |
2021 |
Methanothermobacter |
2022 |
Bäckerhefe (Saccharomyces cerevisiae) |
2023 |
Bacillus subtilis |
Die "Mikrobe des Jahres 2022":
Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae
Wenn zu Jahresbeginn die Sektkorken knallen, ist die Mikrobe des
Jahres 2022 beteiligt: Die Bäckerhefe Saccharomyces
cerevisiae produziert neben Wein - der Grundlage von Sekt - und
Bier auch Köstlichkeiten wie Kuchen und Brot. Hefen sind winzige
Einzeller und zählen daher zu den Mikroben, auch wenn sie - anders als
Bakterien - einen Zellkern besitzen und damit zu den Eukaryoten
gehören. Diese Ähnlichkeit zu Pflanzen, Tieren und Menschen macht sie
zu einem idealen Forschungsobjekt. Als kleine "Zellfabriken" stellen
sie Medikamente und Rohstoffe in industriellem Maßstab her. Diesen für
unseren Genuss und die nachhaltige Produktion bedeutenden
Mikroorganismus wählte die Vereinigung für Allgemeine und Angewandte
Mikrobiologie (VAAM) zur Mikrobe des Jahres 2022.
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Wildtypische Hefezellen im differenziellen
Interferenzkontrast. |
Saccharomyces cerevisiae - Mikrobe des
Jahres 2022 |
Aufnahme: © Benedikt Westermann |
"Zuckerpilz des Bieres" bedeutet der lateinische Name Saccharomyces
cerevisiae. Die Mikrobe des Jahres 2022 ist ein großer Braumeister,
obwohl sie so winzig ist, dass zehn ihrer Zellen gestapelt gerade
einmal die Dicke von Papier erreichen. Sichtbar wurde die Brauhefe
erst mit der Erfindung des Lichtmikroskops (1680) in Form vieler
kleiner Teilchen, die das Bier trübe machen. Es dauerte fast 200
weitere Jahre, bis Louis Pasteur lebende Hefezellen als Ursache für
die alkoholische Gärung erkannte.
Eine Zelle der Hefe
Saccharomyces
cerevisiae mit sichtbaren Zellorganellen. |
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Aufnahme: © Mara Reifenrath,
Goethe-Universität Frankfurt |
Saccharomyces cerevisiae mit Zellorganellen |
Natürlicherweise ernähren sich Hefezellen von Zuckerverbindungen
aus Blättern und Früchten. Sie bauen Glukose oder Fruktose zu
Kohlendioxid-Bläschen (CO2) und dem Alkohol Ethanol ab. Der Alkohol
verschafft der Hefe einen Vorteil: Er tötet konkurrierende
Mikroorganismen. Hat die Hefe den Zucker vernascht, kann sie den
selbst produzierten Ethanol weiter abbauen.
Die
Hefefermentation nutzen die Menschen seit Jahrtausenden: Schon die
alten Ägypter stellten eine Art Bier her. In früheren Jahrhunderten
war dies ein Getränk selbst für Kinder, weil es viel keimärmer war als
das häufig verschmutzte Wasser. Auch Wein und Sake beruhen auf der
Gärtätigkeit von Hefe. Zur Schaumbildung beim Sekt wird in der zweiten
Gärung eine Hefevariante (Saccharomyces bayanus) eingesetzt, die auf
drei verschiedene Hefen zurückgeht, darunter die Bäckerhefe.
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Louis Pasteur erkannte lebende Hefezellen als Ursache für
die alkoholische Gärung. |
Der innere Aufbau der Hefezelle mit
ihren Zellorganen im Elektronenmikroskop |
Aufnahme: © Christina Schug, Universität Bayreuth |
Backtriebmittel
Auch im Kuchenteig produzieren die
einzelligen Hefepilze Kohlendioxid-Bläschen. Mehl besteht aus
verknüpften Zuckern (Kohlenhydraten), die Saccharomyces cerevisiae zu
CO2 umsetzt. Durch kräftiges Kneten verteilen sich die Hefezellen im
Teig; leichte Wärme regt ihren Stoffwechsel und ihre Vermehrung an.
Die entstehenden Bläschen lassen den Hefeteig locker werden - er geht
auf.
Bäckereien, Brauereien, Wein- und Sektkellereien verwenden
eine Vielzahl unterschiedlicher Hefestämme und -arten. Im für Brot
verwendeten Sauerteig unterstützen Milchsäurebakterien die Hefe. Die
genaue Zusammensetzung und ihre Einsatzbedingungen sind häufig gut
gehütete Betriebsgeheimnisse.
Bäckereien, Brauereien, Wein- und
Sektkellereien verwenden eine Vielzahl unterschiedlicher
Hefestämme und -arten. |
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Aufnahme: © Benedikt Westermann |
Backhefe |
Biotechnologischer Modellorganismus für Medikamente und
nachhaltige Rohstoffe
Saccharomyces cerevisiae war der erste
eukaryotische Organismus mit vollständig sequenziertem Genom. Heute
gibt es Stammsammlungen, in denen jedes einzelne der ca. 6.300
Hefegene veränderbar ist. Am Modellorganismus Bäckerhefe lässt sich
vergleichsweise einfach der grundlegende Aufbau und die Funktion
eukaryotischer Zellen untersuchen, denn Hefezellen sind ähnlich
aufgebaut wie menschliche Zellen.
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Hefe wandelt im Bier den Zucker in Alkohol um. Biere
werden entweder mit untergäriger oder obergäriger Hefe
gebraut. Untergärige Hefen mögen es kühl und gären bei vier
bis neun Grad. Obergärige Bierhefen vergären bei 15 - 25 Grad.
Prominentester Vertreter von obergärigen Bieren ist in Bayern
das Weiß- oder Weizenbier. |
Bier entsteht durch die Aktivität der
Hefe |
Aufnahme: © Benedikt Westermann |
Hefezellen dienen auch als zelluläre Fabrik. Davon profitieren
beispielsweise Diabetiker seit Jahrzehnten: In das Hefegenom wurde das
menschliche Insulin-Gen "eingepflanzt", sodass dieser winzige
Organismus einen Großteil des menschlichen Hormons für die
Diabetestherapie produziert. Forscherteams versetzten die Hefe zudem
mit Hilfe von Genen aus Pilzen und Bakterien in die Lage, natürliche
Zucker aus Holz (Xylose) in Ethanol umzuwandeln.
Industrieanlage für die Produktion
von Bioethanol der zweiten Generation. |
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Aufnahme: © Clariant |
In dieser Anlage produziert Hefe Ethanol aus
Lignozellulose, etwa aus Stroh |
Damit können pflanzliche Abfallstoffe heute als Rohstoff und
Energiequelle dienen. Veränderte Hefezellen können auch Bernsteinsäure
herstellen, einen Baustein zur industriellen Herstellung von
Polyester. Der Malaria-Wirkstoff Artemisinin (2015 mit dem Nobelpreis
ausgezeichnet) wird durch eine ausgefeilte "Umleitung" des
Hefe-Stoffwechsel produziert. Dieser Prozess diente auch als
Ausgangsbasis für die Herstellung des chemisch verwandten
Ersatz-Flugzeugkraftstoffs Farnesen.
Eine wichtige Rolle für
die Biotechnologie spielt eine Eigenschaft, die Hefen wie alle
Eukaryoten auszeichnet: Sie besitzen membranumschlossene Organellen,
die eine räumliche Trennung verschiedener biochemischer Prozesse
erlauben. Damit lassen sich beispielsweise giftige Zwischenstufen
innerhalb der Zelle abtrennen. So ist es Forschenden kürzlich
gelungen, Enzyme für die Vorstufe von Nylon in bläschenartige Vesikel
zu "verpacken". Das zeigt beispielhaft, wie die Arbeitsteilung in der
Zelle durch neue Reaktionsräume optimiert werden kann. Saccharomyces
cerevisiae wird bei der gesellschaftlichen Transformation zu
nachhaltigeren Wirtschaftsformen eine wichtige Rolle spielen.
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Die Geschichte der Hefe aus Sicht der Kunst. |
Fermenting Futures |
Aufnahme: Anna Dumitriu und Alex May |
Über die Mikrobe des Jahres
Die Mikrobe des Jahres
weist auf die bedeutsame Rolle der Mikroorganismen für die Ökologie,
Gesundheit, Ernährung und Wirtschaft hin. Mikrobiologinnen und
Mikrobiologen der Vereinigung für Allgemeine und Angewandte
Mikrobiologie (VAAM) wählen sie jedes Jahr aus, um auf die Vielfalt
der mikrobiologischen Welt aufmerksam zu machen. Neuerdings sind alle
Informationen auch auf Englisch verfügbar.
Vielen Dank an Frau Dr. Anja Störiko, VAAM, für die Erlaubnis
Ihren Pressetext veröffentlichen zu können und die übersandten
Aufnahmen von Herrn Benedikt Westermann, Frau Mara Reifenrath,
Goethe-Univerität Frankfur/M., Frau Christina Schug, Universität
Bayreuth, Frau Anna Dumitriu und Herrn Alex May, sowie ein Bild von
Clariant,
zeigen zu dürfen.
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